Foto: Sebastian Werbke

Wie viel Kultur können wir uns leisten?

Beitrag im Amtsblatt am 28. September 2022

von Gudrun Sach und Sebastian Werbke

       

Ungewohntes Leben macht sich gerade mitten in der Stadt bemerkbar. Was passiert dort zwischen Steinturnhalle und alter Schuhfabrik? Nach Abriss sieht es nicht aus. Auf Plakaten wird seit einigen Wochen für eine Zukunftsstätte geworben – worum geht‘s da?

Das Amt für Kultur und Sport hatte im Sommer zu einer Informations-Veranstaltung eingeladen, und unterschiedlichste Vereine sind diesem Ruf in großer Zahl gefolgt. Deutlich wurde schon bei diesem ersten Treffen, wie umfassend der Kulturbegriff verstanden werden kann. Als Teil eines gemeinsamen Festivals in 20 Städten der KulturRegion Stuttgart wird hier mitten in Leonberg zunächst für drei Wochen ein Ort geschaffen, „an dem Menschen sich in die Mitgestaltung ihrer Stadt einbringen und ihr tägliches Lebensumfeld aktiv hinterfragen“, wie es das Kulturamt formuliert.

Das vom OB häufig bemühte Motiv einer „Stadt für Morgen“ wird an der Zukunftsstätte um einen wesentlichen Aspekt erweitert, dass nämlich heute wie morgen in eine lebendige Stadt unbedingt die Kultur gehört, und zwar eine Kultur von allen und für alle. Auf dem Platz zwischen Schuhfabrik und Steinturnhalle basteln die Leonberger selbst eine Bühne aus gebrauchten Materialien, und die Vereine und Einzelpersonen bieten während der drei Wochen vielfältige Mitmach-Aktionen für alle Altersgruppen an. Denn Kultur lebt von Partizipation und Inklusion, und deshalb geht es nach den drei Wochen hoffentlich weiter!

Dies ist genau der Grund, warum sich die Fraktion der Grünen im Gemeinderat schon lange für den Erhalt der alten Schuhfabrik einsetzt: Wir brauchen Raum für die vielfältigen Talente, die dazu beitragen, das Leben hier in Leonberg immer wieder künstlerisch zu bereichern. Hier geht es nicht um ein exklusives Kunsterlebnis, sondern um Entfaltungsmöglichkeiten, die alltäglich und für alle erreichbar sind: kleine Werkstätten, Übungsmöglichkeiten und Ateliers, Co-workingspaces, ein Café als Ort der Begegnung – für all das ist in den unteren Stockwerken Platz (oben könnten durchaus Wohnungen entstehen.) Die Schuhfabrik ist durch ihre zentrale Lage ideal als Treffpunkt, aber auch durch die Nähe zur Steinturnhalle und durch den möglichst autofreien Platz davor.

Wir Grüne sind der Ansicht, dass aus dieser dreiwöchigen Aktion schon durch die Vielfalt der Mitwirkenden etwas ebenso Zukunftsfähiges wie Dauerhaftes erwachsen kann, mit der alten, historischen Schuhfabrik als „Raststätte“ zwischen Altstadt und Neuköllner Platz. Als kultureller Kontrast zur „Kommerzachse“ auf der anderen Straßenseite, die irgendwann mal geprägt sein wird durch den neuen Gebäudekomplex auf dem heutigen Postareal, ist für uns eine „Kulturachse“ zwischen dem Theater im Spitalhof und der Stadthalle wichtig, damit Leonberg nicht zur bloßen Schlafstadt verkommt, sondern Lebensqualität bietet.

Lebensqualität erlebt jede und jeder von uns anders, und sicherlich gibt es Menschen in der Stadt, die weder ins Schwimmbad noch ins Theater gehen. Aber ebenso, wie das Leo-Bad eine wichtige Alternative zum Sommerurlaub auf Mallorca sein kann, ist ein nicht-kommerzieller Kunst-Ort ein Angebot für andere, Träume zu verwirklichen und Dritte daran teilhaben zu lassen.

Um als Stadt solche Optionen zu haben, muss Leonberg sich die alte Schuhfabrik unbedingt sichern und darf das Gelände nicht aus der Hand geben – einmal an einen Investor verkauft, ist es für immer verloren! Auf dem früheren Wüstenrot-Areal sehen wir, was passiert, wenn ein privater Investor das Kosten-Nutzen-Verhältnis für sich maximiert. Der Glaube des OB, dass er einen kunstsinnigen Investor findet, der ganz uneigennützig die alte Schuhfabrik zu einem Cocktail aus Kreativlabor und günstigem Wohnraum mixt, dürfte ähnlich illusorisch sein wie eine Seilbahn.

Wir Grüne hoffen, dass stattdessen die Menschen in Leonberg an der Zukunftsstätte Rast machen, um hier auf Dauer Impulse für eine liebens- und lebenswerte Innenstadt zu entwickeln. Dazu gehört nach unserer Ansicht, dass eines der wenigen alten Gebäude entlang der Stadtachse als Gegenentwurf zu den modernen Schuhschachteln erhalten bleibt. Um so erfreulicher ist es, dass nun ein Anreiz geboten wird, ein Fundament für unsere „Kultur für Morgen“ zu legen. Nutzen wir diese Möglichkeit!

 

 

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