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LKZ Sommerinterview

Grüne: Autofreier Platz ist spannend

LKZ 05.08.2023, Das Gespräch führte Thomas K. Slotwinski.

Sommergespräche: Die Leonberger Fraktionsspitze mit Bernd Murschel und Birgit Widmaier über Stadtgestaltung, den Konflikt zwischen Wohnungsbedarf und Naturschutz, den Streit an der Rathausspitze und über das Krankenhaus.

Leonberg. Weniger Autos, dafür mehr Schatten, mehr Grün und mehr Wasser: Das ist die Zielvorstellung der Grünen für die Leonberger Innenstadt. Im Sommergespräch mit unserer Zeitung betonen sie aber auch, dass sie Autos nicht gänzlich aus dem Zentrum verbannen wollen.

Slotwinski: Frau Widmaier, Herr Dr. Murschel, es ist ziemlich laut hier am Neuköllner Platz. Was halten Sie denn von den Überlegungen, diesen zentralen Bereich komplett für Autos zu sperren?

Murschel: Das ist eine der Skizzen, die im Rahmen der Bürgerbeteiligung für das Projekt „Stadt für morgen“ gemacht wurden. Da gibt e s viel buntes Papier, aber real passiert nicht so viel.

Widmaier: Die Vision für einen autofreien Neuköllner Platz ist schon spannend. Wenn gewährleistet ist, dass der Verkehr weiter fließt, wäre das sicher ein Gewinn.

Slotwinski: Sie sind also dafür: keine Autos auf dem Neuköllner Platz?

Widmaier: Wie gesagt: Für diesen Fall muss eine Umfahrung gesichert sein, also eine Verknüpfung der Brennerstraße mit der Eltinger Straße. Da gibt es ja einige Ideen.

Murschel: Man muss sehen, dass nicht jeder von diesem Projekt begeistert ist. Im Gemeinderat gibt es viele Skeptiker. Deshalb ist es wichtig, alle mitzunehmen. Es geht nicht nur um einen autofreien Neuköllner Platz, sondern um eine Gesamtplanung, die das Leo-Center miteinbezieht. Auch da müssen wir ein Konzept entwickeln, um das Center zukunftsfähig zu machen. Wir haben zwar das Glück, dass Karstadt von der Streichliste ist. Aber ich würde nicht darauf wetten, dass das dauerhaften Bestand hat. Kurzum: Wir brauchen einen gangbaren Weg mit einer zeitlichen Umsetzungsschiene.

Widmaier: Ein wichtiger Bestandteil des Projektes „Stadt für morgen“ muss ein Hitzeaktionsplan sein. Dabei geht es unter anderem um Schattenplätze, Brunnen, allgemein Wasser in der Stadt und kühle Räume: Menschen, die bei Hitze gesundheitliche Probleme haben, muss geholfen werden.

Slotwinski: Ein erster Schritt zum Stadtumbau könnte das Postareal sein. Eine Bebauung im Bereich zwischen Rathaus und Altstadt scheint jetzt Gestalt anzunehmen.

Murschel: Aber genau diese Bebauung ist ein negatives Beispiel für überdimensionierte Gebäude. So wird die Stadt nicht attraktiver.

Slotwinski: Ist es nicht trotzdem wichtig, dass nun der lange diskutierte Brückenschlag zum Marktplatz endlich kommt?

Murschel: Natürlich ist der wichtig, der ursprüngliche Anstoß kam ja sogar aus unseren Reihen. Aber ein ansprechender Brückenschlag geht in diesen monströsen Gebäuden unter. Man schafft keinen Freiraum für Fußgänger und Radfahrer und lässt diese stattdessen an der Eltinger Straße.

Widmaier: Es wirkt alles wie abgeriegelt. Die Planung des Investors Strabag Real Estate hat so gar nichts von den Aspekten, die heute in der Architektur üblich sind.

Slotwinski: Sie sehen also komplett schwarz?

Murschel: Nein, es gibt ja gute Ansätze: der Stadtgarten zum Beispiel, also jene Grünfläche zwischen Layher-Quartier und Altstadt. Ich bin froh, dass wir das im Gemeinderat gegen nicht unbeträchtliche Widerstände durchgekriegt haben. Auch der Marktplatz hat sich als Wohlfühlort gut entwickelt.

Slotwinski: Viele sagen, der Wohlfühlfaktor würde sich noch steigern, wenn der Marktplatz komplett autofrei wäre.

Widmaier: Im Prinzip ja, nur Zulieferer sollten Zufahrt haben. Wir haben ein sehr gutes Altstadt-Parkhaus . . .

Slotwinski:. . . dessen Auslastung besser sein könnte.

Murschel: Solange es oberirdische Parkplätze gibt, versuchen viele Leute, erst einmal dort etwas zu finden. Deshalb sollte man die abschaffen. Und das Parkhaus sehr viel besser vermarkten.

Slotwinski: Die letzte fehlende Ecke in diesem Bereich ist die alte Schuhfabrik. Man hört gar nichts mehr, was dort passieren soll.

Murschel: Der fromme Wunsch nach einem Investor, der Kultur und Wohnen vereint, wird sich kaum erfüllen. Dabei ist die alte Schuhfabrik eine ganz wichtige Anbindung zum Postareal.

Widmaier: Und ein Haus für die Künstler . . .

Slotwinski:. . . das ziemlich heruntergekommen ist.

Widmaier: Richtig, man muss viel investieren. Aber wir halten es aus kulturellen und stadtbildprägenden Erwägungen für bedeutend, den historischen Charakter des Gebäudes zu erhalten. Wir gehen davon aus, dass wir im Herbst Informationen bekommen.

Slotwinski: Bei der Diskussion über die Schuhfabrik geht es auch darum, neuen Wohnraum zu schaffen. Das scheint immer schwieriger zu werden, wenn man etwa die Entwicklung im Gebiet Unterer Schützenrain betrachtet. Dort machen die Anwohner gegen das Viertel mobil.

Murschel: Es gibt den Konflikt zwischen Naturschutzbelangen und Wohnraumbedarf. Der Wegfall des sogenannten beschleunigten Verfahrens nach Paragraf 13b des Baugesetzbuches wird dieses Spannungsfeld in den Vordergrund rücken. Das Warmbronner Gebiet Hinter den Gärten beispielsweise wird komplett neu geplant werden müssen.

Widmaier: Es geht um zwei Fragen: Wo und wie soll die Stadt wachsen? Was kostet Wachstum, was bringt es? Mehr Einwohner bedeuten eine größere Infrastruktur, mehr Kindertagesstätten und Schulen. Das kostet alles viel Geld. Unsere Maxime ist eher, den jetzigen Status zu halten.

Murschel: Zumal Wachstum sich heute ja vor allem auf Zuwanderung bezieht. Um einen weiteren Flächenverbrauch zu vermeiden, brauchen wir dringend ein Leerstandskataster. Es steht sehr viel leer.

Slotwinski: Was kann sich die Stadt überhaupt noch leisten?

Widmaier: Sie muss sich die sogenannten Pflichtaufgaben leisten können: funktionierende Kindertagesstätten und Schulen. Wir zählen zur Pflicht auch eine kulturelle Vielfalt. Menschen aller Einkommensschichten sollen gerne in ihrer Stadt wohnen und die soziale Stadtentwicklung mitdenken. Sparen können wir durch eine moderne Energiepolitik: Wir müssen gegenüberstellen, was wir mittelfristig einsparen, wenn wir in Photovoltaik und Ähnliches investieren.

Murschel: Die Finanzdiskussion kenne ich, seitdem ich im Gemeinderat bin, das sind jetzt 34 Jahre. Unser Hauptproblem sind die Ausgaben. Zur Schuldentilgung etwa muss die Stadt viel Geld aufnehmen. Wir müssen also die Einnahmen nach oben bringen. Aber wie, das ist die entscheidende Frage.

Widmaier: Bei den Investitionen klafft ohnehin ein Loch zwischen den Beschlüssen und der Umsetzung. Der Gemeinderat hat jüngst auf einer Haushaltsklausur eine Obergrenze von 25 Millionen Euro im Jahr gesetzt. Das bildet die Realität recht gut ab.

Slotwinski: Wo wir gerade bei den Finanzen sind: Die Finanzdezernentin ist der Stadt abhandengekommen. Oberbürgermeister Cohn hat Josefa Schmid wegen vermeintlicher Verfehlungen das Ausüben der Dienstgeschäfte untersagt.

Murschel: Das ist kein Zustand, der andauern kann. Dass es an der Stadtspitze kein konstruktives Miteinander gibt, ist schlecht für das Binnenklima im Rathaus und schlecht fürs Image. Wir als Stadträte können allerdings nicht agieren, weil wir die Fakten nicht kennen.

Slotwinski: Das Arbeitsverbot für die Erste Bürgermeisterin darf drei Monate dauern. Mehr als ein Drittel davon ist vorbei.

Widmaier: Das Verfahren liegt jetzt bei der Aufsichtsbehörde, also dem Regierungspräsidium. Bei der Staatsanwaltschaft liegen gegenseitige Anzeigen vor. Es muss für die Stadt eine tragfähige Lösung geben. Ziel muss ein Arbeitsklima ohne eine für die gesamte Belegschaft belastende Konfliktsituation sein. Der jetzige Zustand belastet zudem den Ruf der Stadt als Arbeitgeberin, und es sind ja noch einige Stellen zu besetzen.

Slotwinski: Aktuell kochen die Emotionen um den Klinikverbund Südwest hoch. Ein Gutachten sieht die faktische Schließung des Krankenhauses in Herrenberg vor. In Leonberg soll die Gynäkologie wieder dichtgemacht werden.

Murschel: Der Landrat macht es sich zu einfach, wenn er sagt, dass eine Frau bei einer besseren Planung schnell nach Böblingen kommt. Das geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Die Verantwortlichen sollten auch nicht glauben, dass die Hebammen einfach so von A nach B gehen. Der Klinikverbund müsste gottfroh sein, die hebammengeführten Geburtshilfen erfolgreich etabliert zu haben.

Slotwinski: Das Gutachten hat für Leonberg einen Abzug eigener Chefärzte empfohlen. Dem hat Landrat Roland Bernhard zwischenzeitlich widersprochen.

Widmaier: Die Frage ist, ob die Zusage auch in einigen Jahren noch eingehalten wird. Das ist längst nicht klar.

Murschel: Ohne eigene Chefärzte gibt es einen Tod auf Raten. Aber ich gehe davon aus, dass die Diskussion um die Gynäkologie noch lange nicht zu Ende ist. Die wird voll in den Kommunalwahlkampf reinschlagen.

Slotwinski: Wie wichtig ist Rettungshubschrauber Christoph 41 für die Klinik Leonberg?

Murschel: Sehr wichtig! Was der mittlerweile in den Ruhestand gegangene Innenstaatssekretär Wilfried Klenk als Gründe für den von ihm beschlossenen Abzug des Hubschraubers gesagt hat, war einfach Mist!

 

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