LKZ Sommerinterview

Grüne für Verbleib von Christoph 41

von Thomas K. Slotwinski, LKZ 06.08.2022

Die Tradition der Sommerinterviews wurde auch dieses Jahr fortgeführt. Der Fraktionsvorsitzende Dr. Bernd Murschel und die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Birgit Widmaier trafen sich mit Redaktionsleiter Thomas K. Slotwinski zum Interview auf dem Marktplatz.

Birgit Widmaier und Bernd Murschel (Mitte) beim Sommergespräch mit Redaktionsleiter Thomas K. Slotwinski auf dem Leonberger Marktplatz. Foto: Simon Granville

Wie die Stadt von morgen konkret aussehen soll, das ist für die Spitzen der Leonberger Grünen-Fraktion noch nicht ausgemacht. Dass es um Lebensqualität und weniger Autoverkehr gehen wird, aber schon.

Slotwinski: Frau Widmaier, Herr Murschel, was halten Sie von dem Projekt „Stadt für morgen?“

Murschel: Dieser Arbeitstitel wabert über allem. Er beinhaltet aber nicht nur mehr Radwege, sondern die Transformation zu mehr Lebensqualität. Es werden Antworten auf die Fragen gesucht, wie wir künftig wohnen und bauen wollen und wie wir sowohl die Stadtkerne als auch die Teilorte enger miteinander verbinden wollen. Das dürfte uns die kommenden 15 bis 20 Jahre beschäftigen.

Slotwinski: Trifft der Vorwurf zu, dass in den vergangenen Jahren in dieser Richtung zu wenig oder gar nichts gemacht wurde?

Murschel: Birgit Widmaier und ich sind schon lange im Gemeinderat. Würde der Vorwurf stimmen, hieße das ja, dass auch wir nichts gemacht hätten. Das trifft so nicht zu.

Widmaier: Es hat sich ja was getan – wir haben uns nicht umsonst den Marktplatz als Gesprächsort ausgewählt. Der Bereich ist sehr viel grüner geworden mit schattenspendenden Bäumen und sehr guten gastronomischen Angeboten. Auch gibt es viel mehr Veranstaltungen, etwa den Altstadtgarten oder die Diskussion des Jugendausschusses.

Murschel: Der Marktplatz ist wirklich ein toller Bereich, was man vom Vorplatz am Neuen Rathaus nicht gerade sagen kann. Eine Betonwüste, die nicht zum Verweilen einlädt. Da ist einfach nichts.

Slotwinski: Ein wichtiger Aspekt des Projekts „Stadt für morgen“ ist der Brückenschlag, also die Verbindung zum Leo-Center.

Murschel: Der findet einfach nicht statt. Wie es damit weitergeht, ist völlig unklar. Das verunsichert übrigens auch Investoren, für die es immer schwerer zu beurteilen ist, wo die Reise hingeht.

Zweifel an Shared Space

Slotwinski: Zentraler Teil des Brückenschlags ist die Eltinger Straße. Die von der Stadt beauftragten Planer können sich hier Bäume an den Seiten und eine Fahrbahn vorstellen, auf der alle Verkehrsteilnehmer Platz finden.

Murschel: Als Entwurf ist so etwas schnell skizziert. Aber der Kerngedanke ist richtig: Wir brauchen einen Raum, in dem das Auto nicht mehr die dominierende Rolle spielt.

Widmaier: Dabei geht ja es nicht nur um Radfahrer. Auch für Fußgänger ist die Eltinger Straße alles andere als einladend.

Slotwinski: Ist das Shared-Space-Konzept die richtige Lösung, also das gleichberechtigte Miteinander von Fußgängern, Radlern und Autofahrern?

Murschel: Das kommt auf die Situation an. In der Poststraße halten wir es bekanntermaßen für nicht optimal. Auch für die Eltinger Straße glaube ich nicht so recht dran.

Slotwinski: Also gesonderte Spuren für alle drei Gruppen?

Widmaier: Ja. Dass der Autoverkehr auch seine Berechtigung hat, bestreitet ja niemand.

Slotwinski: Kann sich Leonberg noch Wachstum leisten?

Murschel: Genau diese Frage haben wir uns jüngst auf einer Klausurtagung des Gemeinderates gestellt. Am Anfang waren viele auf Wachstumskurs. Das bedeutet aber, dass wir sehr viel mehr Infrastruktur benötigen, von Kindergärten, Schulen bis hin zu Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten.

Widmaier: Ob wir diese Konsequenzen umsetzen können, vor dieser Frage stehen wir. Die Antwort muss schnell kommen, wir können nicht zwei oder drei Jahre warten.

Slotwinski: Ein Kernproblem bei alldem ist der fehlende Wohnraum. Ihre Ratskollegin Gitte Hutter schlägt vor, massiv in die Höhe zu bauen, um Flächen zu schonen.

Murschel: Das „Modell Gitte Hutter“ teile ich nicht. Wo gebaut wird, sollen die Menschen ja auch leben. Da braucht es eine gewisse Qualität.

Widmaier: Denkbar wäre, schon bestehende geringgeschossige Bauten aufzustocken, beispielsweise Supermärkte mit Flachdächern. Auch in Dachböden ist einiges zu machen.

Murschel: Vor allem müssen wir den Leerstand beenden.

Slotwinski: Wie wollen Sie Immobilieneigentümer dazu bewegen, leer stehende Wohnungen zu vermieten? Mit einer Strafsteuer?

Widmaier: Mit der Grundsteuerreform bekommen die Kommunen jedenfalls mehr Möglichkeiten. So können unbebaute Grundstücke höher besteuert werden. Was das aber in der Praxis bedeutet, kann man heute noch nicht sagen.

Murschel: Ein Steuermodell kann auf jeden Fall ein Instrument sein, Eigentümer zu bewegen, ihren Wohnraum der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.

Keine Wohnungen in Schuhfabrik

Slotwinski: Auch die alte Schuhfabrik am Rande der Altstadt war als Wohnbereich vorgesehen. Jetzt zeichnet sich ab, dass es doch etwas mit einer kulturellen Nutzung werden könnte.

Widmaier: Das wäre eine super Entwicklung! Wir erleben ja gerade, wie die Menschen regelrecht nach Kultur lechzen.

Slotwinski: Der Rat hat beschlossen, einen kulturaffinen Investor zu suchen, der ein Objekt realisiert, in dem Wohnen und Kultur gleichermaßen Platz haben.

Murschel: Investoren verfolgen üblicherweise andere Interessen. Man muss an eine Sanierung mit Maß und Verstand herangehen. Die dringend notwendigen Dinge müssen gemacht werden, aber es muss finanziell darstellbar sein.

Widmaier: Ich kann mir gut vorstellen, dass wir für eine Kultureinrichtung viele Unternehmen und Privatpersonen als Sponsoren gewinnen. Kultur fördert das Stadtleben.

Slotwinski: Also gar keine Wohnungen?

Murschel: Ich glaube nicht, dass die Schuhfabrik der richtige Ort für nennenswerten Wohnraum ist.

Lassen Stadthalle nicht fallen

Slotwinski: Auch die Zukunft der Stadthalle ist weiter ungewiss. Sie sind keine Freunde von ihr.

Murschel: Für uns ist nicht die Stadthalle an sich problematisch, sondern die sechsstelligen Verluste im Jahr. Aber ein Neubau, den der OB bisher befürwortet hatte, steht für uns nicht zur Debatte. Das würde mehrstellige Millionenbeträge verschlingen. Doch unsere Haushaltslage ist alles andere als verlockend.

Widmaier: Zumal wir Geld für die dringend notwendigen Sanierungen von Schulen und Hallen benötigen.

Murschel: Das bedeutet aber nicht, dass wir die Stadthalle jetzt fallen lassen. Mir gefällt sie sogar, nur eben ihr Abmangel nicht. Ihren Unterhalt müssen wir auf jeden Fall sicherstellen.

Heterogene Rathausspitze

Slotwinski: Sie fordern seit Jahren einen kommunalen Klimamanager. Nun hat die Stadt einen eingestellt. Um was soll sich Daniel Strauch denn alles kümmern?

Murschel: Er soll eine Bestandsaufnahme machen, wo wir bei der Wärme- und Energieversorgung stehen. Er soll für eine Optimierung der Wärme in öffentlichen Gebäuden, aber auch in neuen Stadtquartieren sorgen. Und er soll Fördertöpfe für die einzelnen Projekte anzapfen.

Slotwinski: Bei der Stadtverwaltung war es schwer, nicht nur diese Stelle zu besetzen. Die Personaldecke insgesamt ist sehr dünn. Wo sehen Sie die Gründe dafür?

Widmaier: Das ist ein allgemeines Phänomen. Diese Probleme haben auch Privatunternehmen.

Murschel: Es gibt schon lokale Ursachen.

Slotwinski: Sind diese an der Führungsspitze zu suchen?

Murschel: Das ist ja oft so. Die Leonberger Rathausspitze ist sehr heterogen aufgestellt. Etwas mehr Gemeinsamkeit wäre ein gutes Signal nach innen, wie nach außen.

Slotwinski: Wie ist denn Ihr Verhältnis zum Oberbürgermeister?

Murschel: Herr Cohn hat erkannt, dass wir als größte Fraktion für ihn wichtig sind. In weiten Teilen unterstützen wir ihn.

Widmaier: Wir haben ein offenes Verhältnis zu ihm, bei dem unterschiedliche Positionen konstruktiv ausdiskutiert werden.

Slotwinski: Wie ist die Stimmung im Gemeinderat?

Widmaier: Die war schon besser. Die Vielfalt der Themen führt oft zu unterschiedlichen Meinungen. Bei den vielen neuen Kolleginnen und Kollegen ist zudem die Anfangseuphorie verflogen. Was nicht bedeutet, dass wir auf der persönlichen Ebene nicht miteinander reden. Das hat sich auf der Klausurtagung des Gemeinderates gezeigt, die atmosphärisch wie inhaltlich gut war.

Murschel: Ein Grund liegt auch in der coronabedingten zweijährigen Abstinenz von persönlichen Begegnungen. Digitale Konferenzen ersetzen nicht den direkten Kontakt.

Slotwinski: Viele Menschen treibt derzeit die Zukunft des Rettungshubschraubers Christoph 41 um.

Murschel: Als Fraktion sprechen wir uns klar für den Verbleib in Leonberg aus. Unsere Bevölkerung steht dahinter, während die Menschen am möglichen Standort in Wannweil bei Reutlingen den Helikopter ablehnen. Wenn die Landesregierung trotzdem an der Verlegung festhält, so ist das eine maximale Entfremdung vom Bürgerwillen.

Slotwinski: Dann hat sich Peter Seimer, der Grünen-Abgeordnete des Wahlkreises Leonberg, vom Bürgerwillen ebenfalls maximal entfernt. Er trägt die Verlegung mit. Haben Sie mit ihm gesprochen?

Widmaier: Es hat Gespräche gegeben.

Murschel: Das Gutachten kam ja schon, als ich noch im Landtag war. Ich hatte gleich gesagt, dass es so nicht geht. Die Zeichen sprechen eindeutig für Leonberg. Wenn die Region um Reutlingen einen Standort braucht, soll dort das Land einen zusätzlichen installieren. Aber der verantwortliche Staatssekretär Wilfried Klenk hat vorgegeben, dass nicht mehr Geld ausgegeben werden darf.

 

Das Interview können Sie auch direkt im Online-Angebot der Leonberger Kreiszeitung lesen: Sommergespräche mit Leonberger Ratsfraktionen Grüne für Verbleib von Christoph 41

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